Der Boudicca-Aufstand war der Aufstand der beiden einheimischen Stämme der Icener und Trinovanten gegen die römischen Besatzer Britanniens in den Jahren 60 und 61 n. Chr., der von der britannischen Königin und Heerführerin Boudicca angeführt wurde. Die schlechte Behandlung der Stämme durch die Römer löste den Aufstand aus. Beide Seiten kämpften mit großer Brutalität. Boudiccas Streitmacht zerstörte drei große römische Siedlungen (darunter auch Londinium) und tötete einen Großteil der verbliebenen Bewohner und Verteidiger. Eine zahlenmäßig unterlegene römische Armee unter Gaius Suetonius Paulinus stellte die Aufständischen in den „Midlands“ entlang der Watling Street und vernichtete sie. Die mit Abstand wichtigste Quelle für die Ereignisse ist der römische Geschichtsschreiber Tacitus.
Hintergrund
Demütigung der Icener
Die britannischen Icener lebten unter ihrem König Prasutagus im Gebiet des heutigen East Anglia (Norfolk und Suffolk). Prasutagus hatte sich früh für ein Bündnis mit Rom entschieden. Der Vertrag von 43 n. Chr. regelte, dass er sein Reich als Klientelkönig der Römer weiterregieren konnte. Prasutagus starb etwa im Jahre 60 n. Chr. und vererbte sein Königreich zu gleichen Teilen seinen beiden Töchtern und dem römischen Kaiser Nero. Er hoffte, dadurch den Fortbestand seines Reiches sicherzustellen und vor allen Dingen seine Familie vor Übergriffen der Römer schützen zu können. Doch das Gegenteil trat ein: Die Römer unter der Führung des Procurators Catus Decianus zogen in das Land der Icener ein und behandelten das Reich des bisherigen Klientelkönigs von nun an als einen Teil der römischen Provinz. Wie Tacitus berichtet, zerstörten römische Soldaten Prasutagus’ Ländereien und Sklaven des Procurators dessen Haus. Außerdem misshandelten sie angeblich Prasutagus’ Witwe Boudicca und vergewaltigten und entführten deren beide Töchter. Hinzu kam die plötzliche Rückforderung hoher Kredite durch römische Gläubiger, zu denen auch der Philosoph Seneca gehörte.
Dieser Demütigung waren langjährige Provokationen durch die Römer vorausgegangen. Ein Höhepunkt jener Entwicklung war im Jahre 47 n. Chr. der Versuch des Publius Ostorius Scapula, ihm bedrohlich oder verdächtig erscheinende Stämme entwaffnen zu lassen. Dies hatte einen Aufstand mehrerer Gruppen ausgelöst, zu denen auch die Icener gehörten. Die Aufständischen waren jedoch in einer entscheidenden Schlacht (wahrscheinlich in Stonea Camp im Cambridgeshire) geschlagen worden und mussten sich den römischen Besatzern fügen.
Vertreibung und Provokation der Trinovanten
Zu den weiteren römischen Provokationen gehörte vor allem die Vertreibung der Trinovanten aus ihrer Hauptstadt Camulodunum, dem heutigen Colchester, um dort im Auftrag des römischen Kaisers Claudius eine Veteranenkolonie für ehemalige Legionäre zu errichten. Diese sollte dem Erhalt des römischen Einflusses in der Stadt dienen, nachdem die ursprünglich dort stationierte Legio XX zur Bekämpfung der Silurer nach Westen verlegt worden war. Tacitus beschreibt das konfiszierte Land als „agri captivi“ (dt. „erobertes Land“). So war es den Römern erlaubt, sich das Land anzueignen und die Bevölkerung wie Sklaven zu behandeln. Funde britischer Schädel in Colchester, die auf Exekutionen hinweisende Verletzungen aufweisen, bekräftigen diese Annahme.
Eine zusätzliche Provokation war der Baubeginn eines Tempels in Camulodunum zu Ehren des 54 n. Chr. verstorbenen und vom römischen Senat konsekrierten Claudius, in dem angeworbene Britannier als Priester dienen sollten. So wollte Rom den Trinovanten einen „Gott“ oktroyieren, der sie zu seinen Lebzeiten durch Vertreibung und Unterdrückung hatte erniedrigen lassen. Gravierender war jedoch, dass jener Tempel durch die Trinovanten selbst bezahlt werden sollte und dadurch eine sehr hohe Abgabenlast auf dem Stamm lag. Archäologische Funde lassen vermuten, dass der Tempel nicht fertig gestellt wurde und dem Aufstand zum Opfer fiel.
Der Aufstand
Zeitliche Einordnung
Obwohl Tacitus ausschließlich über das Jahr 61 schreibt, gehen Historiker heute davon aus, dass Boudicca die Stämme unmittelbar nach dem Tod ihres Mannes im Spätjahr 60 zum Aufstand aufrief und dieser bis ins folgende Jahr andauerte. Dafür spricht, dass die Demütigung Boudiccas und ihres Stammes nach dem Tod ihres Ehemannes wohl ein starker Auslöser für einen spontanen Aufstand gewesen sein muss. Der Moment war für die Icener und Trinovanten im Übrigen äußerst günstig: Das römische Lager in Saham Toney, das eigens zur Kontrolle der Icener erbaut worden war, hatten die Römer bereits zwei Jahre zuvor wieder verlassen, und der Großteil der römischen Armee befand sich weit entfernt im Kampf gegen die Druiden bei Mona (Anglesey). Die Spontaneität des Aufstandes und die Entschlossenheit der Aufständischen wird weiter durch die Tatsache unterstrichen, dass die Felder zur Versorgung des Stammes nicht weiter bestellt und die Kämpfer von ihren gesamten Familien begleitet wurden. Derartige Migrationen hatten in vergleichbaren Situationen zuvor schon bei gallischen und germanischen Stämmen stattgefunden und können als Beleg dafür gewertet werden, dass dem Aufstand keine langwierigen strategischen Überlegungen vorangingen.
Verlauf
Boudicca zog nach den vorangegangenen Erniedrigungen ein Heer zusammen. Neben den Icenern schlossen sich ihr die benachbarten Trinovanten und kleine Teile anderer, jedoch unbekannter Stämme an, die sich durch die römische Behandlung ebenfalls unterdrückt sahen. Sie entschlossen sich, gemeinsam loszuziehen und nach neuen Siedlungsgründen zu suchen, in welchen sie von den Römern unabhängig leben konnten.
Ihr Weg führte sie zunächst zur Veteranenkolonie Camulodunum. Diese Kolonie war selbst vollkommen verteidigungsunfähig und bat daher den Procurator Catus Decianus um Unterstützung. Dieser schickte jedoch nur 200 schlecht bewaffnete Soldaten, die den Aufständischen schnell zum Opfer fielen. In der Folge machten die Aufständischen den damaligen Hauptsitz der römischen Besatzungsmacht dem Erdboden gleich. Der Legat Quintus Petilius Cerialis stellte sich ihnen mit der Legio IX bei Camulodunum entgegen, konnte die Übermacht der Britannier aber ebenfalls nicht aufhalten. Seine Fußtruppen wurden aufgerieben, mit der Reiterei musste Cerialis sich in ein befestigtes Lager zurückziehen. Der Prokurator Decianus floh nach Gallien.
Der römische Feldherr und Statthalter Britanniens, Gaius Suetonius Paulinus, befahl daraufhin seinen in Mona stationierten Legionen, nach Londinium (London) zu marschieren, während er selbst ihnen vorauseilte, um die Situation einschätzen zu können und gegebenenfalls Auxiliartruppen auszuheben. In Londinium jedoch erkannte er, dass eine Verteidigung der Stadt mit den verfügbaren Mitteln nicht möglich war. Er konnte daher nicht verhindern, dass die Aufständischen ihren Zug bis nach Londinium fortsetzten und die Stadt brandschatzten. Er musste in diesem Stadium des Krieges sowohl Londinium als auch Verulamium (St Albans) kampflos aufgeben, mit der Folge, dass auch der dort ansässige, mit Rom verbündete Stamm der Catuvellaunen Boudiccas plündernden Horden zum Opfer fiel. Boudiccas Heer soll zu diesem Zeitpunkt etwa 80.000 Personen umfasst haben – was aber wahrscheinlich eine erhebliche Übertreibung darstellt – und war mittlerweile eine ernsthafte Bedrohung der römischen Herrschaft in Britannien. Hierbei muss allerdings berücksichtigt werden, dass ein Großteil dieser Heerschar aus den Frauen und Kindern der Aufständischen bestand, die den Soldaten auf Wagen folgten. Dennoch wurden laut Tacitus ungefähr 70.000 römische Bürger und Bundesgenossen durch die Angriffe von Boudiccas Heer getötet.
Suetonius Paulinus sah daher nur noch die Möglichkeit, eine offene Feldschlacht zu suchen. Seine größte Sorge war, dass seine Streitmacht in bewaldetem Gebiet mittels zahlreicher kleinerer Angriffe aus dem Hinterhalt aufgerieben würde. Unter ähnlichen Umständen war bereits zuvor die Legio IX unter Petilius Cerialis durch die Icener geschlagen worden und lag nun kampfunfähig in den östlichen Midlands. Auch von der Legio II in Exeter unter dem Praefectus Castrorum Poenius Postumus konnte Suetonius keine Unterstützung erwarten, da dieser sich weigerte, sich mit Suetonius’ Streitkräften zu verbinden.Schlacht an der Watling Street
Datum | 61 n. Chr. |
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Ort | unbekannt (wahrscheinlich Manduessedum an der Watling Street) |
Ausgang | Sieg der Römer |
Konfliktparteien | |
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Britannier | Römisches Reich |
Befehlshaber | |
Boudicca | Suetonius Paulinus |
Truppenstärke | |
angeblich über 80.000 | 10.000 |
Verluste | |
angeblich 80.000 | 400 Getötete, 400 Verletzte |
Die Schlacht an der Watling Street
Ort der Schlacht
Wo genau die Schlacht stattfand, ist heute nicht mehr festzustellen. Es wird vermutet, dass die beiden Streitmächte an einem Ort entlang der Watling Street, die von London nach Nordwesten führt, in der Nähe des heutigen Atherstone oder Mancetter (damals Manduessedum) aufeinander trafen.
Verlauf
Suetonius Paulinus, dem etwa 10.000 Mann – bestehend aus der Legio XIV, Vexillationen der Legio XX sowie Auxiliartruppen – zur Verfügung standen, wählte als Kampfplatz eine durch eine Schlucht begrenzte Ebene mit Wald im Hintergrund, so dass er die Feinde auf einer offenen Ebene vor sich hatte und keinen Hinterhalt befürchten musste. Die Legionssoldaten wurden in dichten Reihen aufgestellt, auf beiden Seiten die Hilfstruppen und auf den äußersten Flügeln die Reiterei. Die Britannier dagegen schwärmten überall in ungeordneten Haufen und Schwadronen umher. Voller Siegeszuversicht hatten sie ihre Frauen mitgebracht, die auf Wagen am äußersten Rand der Ebene saßen.
Nach den Reden, die die beiden Heerführer Boudicca und Suetonius laut Tacitus an ihre Heere gehalten hatten, begann die Schlacht. Die Legion blieb zu Beginn unbeweglich in der Deckung der Schlucht stehen und ließ den Gegner in Reichweite für ihre Wurfspieße kommen. Nachdem sie dann auf die ungeordnet anrückenden Britannier ihre Wurfspieße geworfen hatte, rückte sie in einer geordneten Phalanx vor und trieb einen Keil in die Reihen der Angreifer. Auch die Hilfstruppen und die Reiterei gingen nun vor und die Britannier konnten nicht mehr standhalten. Sie wandten sich zur Flucht, doch war ein Entkommen schwierig, da sie die Wege von den umherstehenden eigenen Wagen versperrt fanden. So wurden die Fliehenden samt ihren Frauen von den Römern niedergemetzelt. Tacitus berichtet von Verlusten in Höhe von 80.000 Personen auf britannischer Seite, gegenüber 400 auf römischer Seite. Die Zahlenangaben sind abermals verdächtig, aber fest steht: Die Römer errangen einen vollständigen Sieg.
Das Ergebnis dieser Schlacht hat Tacitus treffend zusammengefasst: „Der glückliche Ausgang einer einzigen Schlacht brachte die Provinz in ihre alte Unterwürfigkeit“. Unklar ist, wie groß die Chancen Boudiccas und ihrer Truppen tatsächlich waren, die Römer entscheidend zu schlagen und damit die Geschichte der Eroberung Britanniens in völlig neue Bahnen zu lenken. Es war vor allem der undisziplinierte Kampfstil der britischen Kämpfer im offenen Feld, der sie gegen die disziplinierten und taktisch gut aufgestellten Römer unterliegen ließ.
Folgen des Aufstandes
Über das weitere Schicksal Boudiccas gibt es zwei Versionen: Tacitus berichtet, dass Boudicca sich durch Gift das Leben nahm, Cassius Dio hingegen meint, dass Boudicca erkrankte und starb. Den Stamm der Icener hatte der Aufstand jedoch hart getroffen, da sich das Volk im Verlauf des Krieges nicht um die Ernte gekümmert hatte und deshalb in der Folge unter einer großen Hungersnot litt.
Poenius Postumus, der sich geweigert hatte, Suetonius Paulinus mit der Legio II zu unterstützen, stürzte sich nach dessen Sieg in sein eigenes Schwert, um so seine Ehre wiederzugewinnen.
Suetonius galt nun unter den Römern zwar als Held, wurde aber für seine Vergeltungsaktionen gegen die Icener und Trinovanten auch stark kritisiert. Seine extrem harten Strafaktionen drohten die britische Insel in ein Chaos zu stürzen. Nero beauftragte deshalb seinen Freigelassenen Polyclitus mit der Untersuchung der Vorwürfe, worauf Suetonius Paulinus noch im selben Jahr durch Publius Petronius Turpilianus ersetzt wurde. Letzterer unternahm keine weiteren militärischen Aktionen gegen die Icener und die anderen aufständischen Stämme. Der Aufstand hatte derartig starke negative Auswirkungen auf die Moral und die Kampfstärke der römischen Truppen, dass für die nächsten zehn Jahre keine weiteren Eroberungsversuche in Britannien unternommen wurden. Der Biograf Sueton berichtet, dass die Ereignisse des Boudicca-Aufstandes Nero sogar zu der Überlegung veranlasst hätten, sich ganz aus Britannien zurückzuziehen.
Die Icener wurden nach dieser Auseinandersetzung mittels einer strengen militärischen Herrschaft kontrolliert, erhielten jedoch auf Veranlassung der Römer in den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts erneut eine autonome Regierung. Die friedliche und zurückhaltende Politik der Römer (vor allem unter Marcus Trebellius Maximus, 63–69) dauerte bis 71 an, als Quintus Petilius Cerialis – der selber beinahe sein Leben im Boudicca-Aufstand verloren hatte – zum neuen Statthalter von Britannien ernannt wurde und die Eroberungsfeldzüge in den Westen und Norden Britanniens wieder aufnahm.
Für die Archäologie besonders wichtig ist der so genannte „Boudican destruction horizon“ (dt. Boudiccas Zerstörungshorizont). Dies ist eine bei Ausgrabungen in Städten, die dem Aufstand zum Opfer fielen, gefundene 30 bis 150 cm dicke Lage verbrannten Materials. Sie zeigt die Ausmaße der Zerstörung durch die brandschatzenden Aufständischen. Auch können dadurch archäologische Funde zeitlich leicht zugeordnet werden.
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